„Wie schützen wir die Kinder? Gemeinsam für Frieden in Vielfalt

Gemeinsam mit der Bildungsdirektion NÖ setzten Crosstalk und die Pädagogische Hochschule Niederösterreich in Baden an 3 Terminen im März ein humanitäres Zeichen für Frieden in Vielfalt.

Mussten bereits während der letzten Jahre alle Kinder und Jugendlichen unter Pandemiebedingungen mit Ängsten, Unsicherheit und sozialer Isolation umgehen, wird diese Zeit nun vom bisher unbekannten und nahen Kriegsgeschehen übertroffen. Darüber wird in allen Medien berichtet. Kinder und Jugendliche brauchen in dieser Situation die Möglichkeit, über Ihre Gefühle zu sprechen. Wie können wir diesen Dialog gestalten?

Eine anlassbezogene Webinar-Reihe hat Gestaltungsmöglichkeiten für diesen Dialog thematisiert: Start war am 2. März; weitere, virtuelle Termine fanden am 4. Und 10. März statt.

Die Leiterin der Schulpsychologie des Landes NÖ, DDr. Andrea Richter, die Kinder- und Jugendpsychologin Mag. Sandra Velasquez und weitere ExpertInnen haben, moderiert von Markus Priller, dazu beigetragen, für Kinder und Jugendliche einen Raum für Sicherheit und Geborgenheit zu schaffen.

Info und Stream:  https://medien.ph-noe.ac.at/paella/ui/watch.html?id=cabc7f3c-ecd4-4be6-bd96-922f29297648

Im dritten Termin am 10. März gab Philipp Pechhacker-Martinek, Leiter der Abteilung Migration und Suchdienst im Roten Kreuz, Landesverband Niederösterreich, zunächst einen Überblick über die Situation in Europa, Österreich und speziell in Niederösterreich: „Der Großteil der Flüchtlinge kann zur Zeit in den Nachbarländern aufgenommen werden – nach Österreich kommt nur ein sehr kleiner Teil, und auch hier findet die Ankunft, im Gegensatz zur Fluchtsituation 2015, an sehr unterschiedlichen Punkten statt.“ In Niederösterreich gibt es aktuell ein Empfangszentrum in Wiener Neustadt, wo wir rund um die Uhr Erstversorgung mit Unterbringung und Gesundheitscheck ermöglichen. „Hier gibt es erforderlichenfalls auch Möglichkeiten für Erste Hilfe, Krisenintervention und Familienzusammenführung“, präzisiert Philipp. Aufenthaltstitel und Versicherung sind weitere große Themen: „weil bislang rechtlich noch nicht definiert und ausformuliert ist, welchen Aufenthaltstitel die Menschen bekommen, wie sich der Zugang zum Arbeitsmarkt, zu sozialen und Versicherungsleistungen gestalten wird.“

Derzeit kommen auch viele Mütter mit Kindern nach Österreich, daher müssen „wir als Rotes Kreuz auch in der Kinderbetreuung tätig werden.“ Dementsprechend wurde im Empfangszentrum auch ein Kinderzimmer eingerichtet, wo die Kinder die Möglichkeit haben, „ihren eigenen Emotionen Raum zu geben, wo – nach Befriedigung der allerelementarsten Bedürfnisse – Kinder auch wieder Kinder sein dürfen.“

Aktuell ist das Rote Kreuz in erster Linie auf der Suche nach Geldspenden und Personal, um direkt vor Ort Hilfe leisten zu können.

 

Anschließend gibt Sofia Widmann einen Überblick über die Community der in Wien lebenden Ukrainer_innen, und sie berichtet von Fluchtgeschichten aus ihrem Bekanntenkreis: „Aktuell leben hier rund 7.000 Menschen, und gleich nach Ausbruch des Krieges wurde ich von vielen Flüchtlingen kontaktiert, die mich gefragt haben, wohin sie sich nun wenden sollen. In meinem Bekanntenkreis sind viele Ärzte (auch mein Vater ist Arzt, meine Schwester ist Ärztin), die aber nach ihrer, teils abenteuerlichen und entbehrungsreichen Flucht nun natürlich keine Beschäftigung haben. Durch unser persönliches Netzwerk ist es uns aber gelungen, Familien kurzfristig unterzubringen.“ Sofia hat, gemeinsam mit ihrem Mann, eine mehrsprachige Plattform ins Leben gerufen; sie heißt ‚H is for Help‘ und umfasst ein Buchungssystem für kurzfristige Unterbringung in mittlerweile 167 teilnehmenden Hotels weltweit, außerdem weitere Reiseplanung für Menschen mit ukrainischem Pass für insgesamt 21 Länder, und das „ohne bürokratische Hindernisse“. Mithilfe dieses Projektes konnte Sofia alle ihre Freundinnen und Freunde unterbringen, damit sie zunächst einmal durchatmen und die nächsten Schritte planen können. Ein weiteres Projekt erlaubt die Verwendung von 12 Wohnungen in einem derzeit leerstehenden Gebäude in der Mariahilfer Straße in Wien, wo Ukrainer_innen kostenlos übernachten können. „Wir sind jetzt gerade dabei, Freiwillige für Renovierungs- und Sanierungsarbeiten zu rekrutieren.“ Sofia präsentiert auch eine Liste mit den wichtigsten Dingen, die gerade jetzt am dringendsten gebraucht werden, außerdem die erforderliche Anschrift und Kontaktadresse.

Was Sofia Widmann ganz besonders wichtig ist: „Den Menschen respektvoll begegnen, und vor allem den Kindern helfen, damit sie sich hier wohlfühlen, denn sie sind flexibel, und sie können rasch Fremdsprachen erlernen.“

 

Sandra Velásquez, geboren in Nicaragua, ist Erziehungsexpertin, Klinische- und Gesundheitspsychologin in freier Praxis und unterstützt das Österreichische Rote Kreuz als Botschafterin für das projektXchange und Crosstalk.

Sandra sucht Antworten auf die Frage: „Was ist es, was uns in diesen Zeiten stark macht, wo niemand weiß, was passieren wird?“ Und sie hat jetzt ständig „in meinem Kopf die Schlagzeile ‚Krieg in Europa‘; das berührt mich persönlich sehr stark, weil ich selbst mit Kindern aus der Ukraine arbeite, und wohl jeder kennt jemanden – vielleicht auch über drei Ecken – den das betrifft. Wie können wir damit umgehen, Kindern das Wort ‚Krieg‘ erklären?“

Sandra Velásquez, die selbst auch Menschen aus der Ukraine aufgenommen hat, behandelt in ihrer Präsentation zunächst die Verbindung zwischen Gehirn und Körper, vermittelt Wissen über Meilensteine der bio-psychologischen Entwicklungen des Kindes (Entwicklungsstufen nach Piaget) und die Narrative im Hinblick auf den Grad der Differenzierung. Das durch Hirnstamm, limbisches System und präfontale Lappen gesteuerte Wechselspiel von Emotionen konfrontiert uns ständig mit Zuständen des Sicherheitsbedürfnisses, des Geschätzt-Werdens und des Lernen-Könnens.

Entsprechend dem Alter der Kinder und Jugendlichen vermittelt Sandra dann verschiedene Tools, mit deren Hilfe auf deren Befinden konkret eingegangen werden kann. So muss auch die verwendete Sprache auf die Bedürfnisse des jeweiligen Alters angepasst werden, müssen die verwendeten Bilder der jeweiligen Vorstellungskraft und den mit dem Alter immer komplexer werdenden kognitiven Vorstellungen angepasst werden. Schließlich spielen auch die Interventionsebenen (Kind-Eltern-Team-Leitung-Experten-Institutionen) eine wesentliche Rolle.

Sandra: „Es ist normal, Angst vor Krieg und Terrorakten zu haben. Und während es in Ordnung ist, Ihrem Kind zu sagen, dass Sie Angst haben, achten Sie dabei auf die Intensität Ihrer Emotionen!“

Zur Illustration zeigt Sandra eines der von ihr produzierten Videos der Reihe „Sandra and Pauli“, in welchem sie einen Dialog mit der Puppe Pauli führt und in dessen Verlauf sie ihm zeigt, wie man mit seinen Ängsten umgehen kann. „Der Pauli ist für Kinder zwischen 5 und 8 Jahren geeignet, und ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht.“

Wichtig ist es, wo möglich, immer ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln: „Dabei helfen Regelmäßigkeit, Rituale und Rhythmus.“ Wesentliche Ressourcen zur Problembewältigung und im Vermitteln von Sicherheit liegen unter anderem auch in Atemtechniken, im Beschreiben statt Urteilen oder im Wecken von Neugier.

Mit zahlreichen, ganz konkreten Tipps und erprobten Verfahren rundet Sandra ihre Präsentation ab, so weist sie beispielsweise darauf hin, dass man durchaus offen für die Diskussion der Fakten rund um den Krieg sein sollte, wenn etwa ein Kindergartenkind dies selbst zur Sprache bringt („Einige Menschen in einem anderen Land sind sich nicht einig, was für sie wichtig ist, und manchmal kommt es zum Krieg, wenn das passiert.“) Außerdem sollte man, wenn möglich, Hinweise auf konkrete Hilfsmöglichkeiten, Menschen und Organisationen geben.

Im Verlauf des Webinars vermittelt Sandra Velásquez den Teilnehmer_innen dann zahlreiche konkrete, altersbezogene und individuelle Tipps, und sie gibt viele hilfreiche Kontaktadressen und Hotlines zur Abrundung des Themas.

Außerdem präsentiert Sandra Entspannungs- und Atemübungen („H-Atmung“), die man mit Kindern und Jugendlichen zur Stressreduktion machen kann. Sie dienen einerseits dazu, körperliche Spannungen loszuwerden, andererseits aber auch, schöne Gedanken und Mitgefühl zu lernen, zu artikulieren und auszudrücken. Dabei bezieht sie die Teilnehmer_innen des Webinars spontan in ihr Konzept ein und lädt sie ein, ihre Erfahrungen als Feedback abschließend in die Veranstaltung einzubringen.